Zack – so schnell ist dann auch die zweite Tour-Woche vorbei. Im Herzen Frankreichs hatten die Sprinter zunächst das Sagen. Dann ging es ins Jura und damit wieder steil bergauf. Das hat zu Vorentscheidungen geführt.
Nie zurückblicken
In dieser Woche gingen viele Fluchtgruppen auf die Jagd nach dem Etappen-Glück. Dabei waren auch einige Deutsche besonders aktiv. Beeindruckend waren die Ausreißversuche von Lennard Kämna und Max Schachmann. Mit massiven Antritten aus der Spitzengruppe heraus haben sie die Konkurrenz ins Schwitzen gebracht. Leider wurden sie jeweils kurz vor dem Ziel gestellt. Marc Hirschi ist einer der aktivsten Pedaleure der gesamten Tour. Am Donnerstag konnte er endlich eine Etappe gewinnen, nachdem er schon zwei mal kurz vor der Ziellinie eingeholt worden war. Das war bockstark! Es beeindruckt und fasziniert mich immer wieder, wenn direkt zu Beginn einer Etappe im Gebirge mehrere Männer voll aufs Pedal drücken und sich vom Peloton absetzen. In der Fluchtgruppe dann Stunde um Stunde, Rampe um Rampe voll im Wind fahren. Das Feld rückt immer näher heran und dann ein Angriff, der alle Körner raushaut, die noch da sind. Niemals zurückblicken. Sich selbst vertrauen und dem Traum vom Etappensieg beim Mythos Tour de France hinterherjagen. Das ist es, was ich am Radsport so liebe.
Slowenien vs. Kolumbien
Im Gesamtklassement sind die Weichen nun gestellt. Die beiden Slowenen Roglic und Pongacar stehen ganz vorne. Von hinten rennt aber eine Armada knochentrockener Bergspezialisten erster Güteklasse heran. Die Kolumbianer Uran und Angel Lopez sind noch nahe dran. Ebenso der Thunder from Down Under, Richie Port. Da wird noch ein heftiger Kampf entflammen, wenn es in die Alpen geht. Favorit ist weiterhin Roglic. Er selbst ist immer wieder in der Lage, Angriffe abzuwehren. Wenn man dazu noch seine Equipe sieht, sieht man eine gelbe Phalanx. Am Grand Colombier, der sich 17 Kilometer steil bis zum Gipfel erstreckt, hatte er noch vier Kollegen bis kurz vor Schluss an seiner Seite. Die Jungs beschützen ihren Kapitän!
Alles vorbei ist derweil für Vorjahressieger Egan Bernal, der an besagtem Grand Colombier förmlich explodierte. Ein großer Sportsmann ist er dennoch. Seine Auffassung, es dem Mythos Tour schuldig zu sein, jeden Tag voll anzugreifen und sich bis zum Letzten zu verausgaben, egal ob man um den Sieg fahren kann, ehrt ihn. Allez, Egan!
Merci, Raymond
Ein Mann mit der gleichen Einstellung, der selbst integraler Bestandteil des Mythos ist, genießt in Frankreich Legendenstatus. Raymond „Poupou“ Poulidor stand acht mal auf dem Podium der Tour de France und konnte sie nie gewinnen. Der ewige Zweite war in den 60er und 70er Jahren der wohl populärste Sportler Frankreichs. Wie groß muss seine Sehnsucht gewesen sein, endlich den Lohn für all die harte Arbeit zu bekommen. Nicht einen Tag war es ihm vergönnt, das Maillot Jaune zu tragen. Was die Menschen noch heute an ihm begeistert, ist seine positive, bodenständige Art und sein Humor. Er hat verkörpert, dass es nicht auf Trikots, Pokale und Siege ankommt. Sondern dass wirklich zählt, dass man liebt was man tut. Im vergangenen November ist Poulidor verstorben. Ihm zu Ehren fuhr die Tour in der vergangenen Woche durch seinen Heimatort. Aber nicht nur dort wurde ihm mit Bannern, Straßenaufschriften und riesigen Kunstwerken am Straßenrand gedacht. Überall bei dieser Tour gedenken ihm die Menschen. Den Menschen so etwas gegeben zu haben und immer zu bedeuten ist viel bedeutsamer, als ein Trikot, Pokal oder Sieg. Merci, Raymond!