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In einer postheroischen Nachwelt

Monika Marons neuester Roman „Artur Lanz“ schlägt hohe Wellen. Er setzt sich mit dem Postheroismus unserer Gesellschaft auseinander und polarisiert dabei mit holzschnittartigen Gender-Klischees. So einfach wie es scheint ist es aber nicht. Die in den letzten Jahren immer umstrittener gewordene Autorin spielt geschickt mit den an sie herangetragenen Vorwürfen wie Islamfeindlichkeit und Rechtspopulismus. Diese mündeten in diesem Monat gar in der Trennung ihres Verlags S. Fischer von der Erfolgsautorin. Hier folgt, was die Erzählerin des Romans von ihrem titelgebenden „Helden“ fordert: eine Lanze zu brechen.

Ausbruch aus dem Life as a Man

Der Plot dieses Romans ist schnell erzählt: es findet fast keine Handlung statt. Die Ich-Erzählerin Charlotte Winter ist um die 70, scheint irgendwas mit Literatur zu machen und interessiert sich für Männer nicht mehr in erotischen Belangen. Da begegnet ihr ein 50-Jähriger auf einer Parkbank: Artur Lanz. Die beiden kommen ins Gespräch. Artur berichtet, dass seine Mutter ihn nach König Artus benannt habe. Er selbst versucht sich darin, ein Held zu sein. Als er seinen Hund vor dem Tod im Maisfeld rettete erkannte er, dass die Liebe zur Frau erloschen war. Er fasste Mut und verließ sie. Charlotte sieht in Lanz ein mögliches literarisches Sujet. Beginnt sich mit der Artus-Sage zu beschäftigen und knüpft eine immer enger werdende Bande zu Artur. Durch ihn reflektiert sie das postheroische unserer Zeit. Lanz selbst strebt nach einem neuen mutigen Leben. In Gesprächen erörtern sie retrospektiv, wie er dem näherkommt und sie das Heroische näher bestimmt. Dies erscheint auf den ersten Blick die gesamten 220 Seiten lang banal und leicht verdaulich. Nach der Lektüre lag ich im Bett und es begann in mir zu rumoren. Mit den Romanen Monika Marons mache ich häufig eine Erfahrung, wie sie Christoph Hein mit Max Frisch machte. Man fühlt sich gut unterhalten und nach Stunden wird beklemmend ersichtlich, was da eigentlich gesagt wurde. Abgründe tun sich auf.

Von Helden und Menschen

Dieser Roman bietet unfassbar viele Diskurse. Ich möchte mich auf wenige beschränken. Augenfällig ist natürlich die von den Figuren thematisierte Vielfalt an literarischen Vorbildern. Die Sagen des Mittelalters, Brecht und Fontane nennen sie selbst. Bedeutsam ist aber besonders ein nur kurz angerissener Komplex: Die Frage nach der Schuld des Handelnden. Charlotte zitiert Ernst Toller mit der Frage, ob der Handelnde immer schuldig werden müsse. Diese Frage stellt Maron in ihrem gesamten Werk und besonders in „Stille Zeile Sechs“. Damit bekommt der Roman eine Tiefe, die man zunächst nicht erahnt. Maron stellt Fragen, ohne Antworten zu geben. Die stammtischartigen Parolen der Figuren sind der Kontrast dazu, der Leser*innen provoziert. Besonders eine Szene verdeutlicht dies: Charlotte berichtet von einer Demonstration von Frauen, die von Rockern vor den Übergriffen zugewanderter Männer geschützt würde. Dies empfindet sie als bewundernswerte Männlichkeit. Beim ersten Lesen schäumte ich vor Wut. Wie kann man nur. Bei weiterem Nachdenken über diesen Affront schleicht sich langsam ein, dass eben dies die Absicht dahinter ist. Reg dich ruhig auf und dann denk mal nach. Hier wird mit Stereotypen gehandelt, die unsere Gesellschaft ebenso wie die Autorin betreffen. Was bleibt ist, dass man durch Marons offene Fragen immer auf sich selbst zurückgeworfen wird.

Autonomie durch Sprache

Postheroismus ist auch an das Postfaktische gebunden. Wer noch die Wahrheit sagt, oder was das überhaupt ist, ist nur noch schwer zu durchdringen in dieser Gesellschaft. Marons Figuren versuchen, ihre eigene Wahrheit zu finden. Und sie auszusprechen, egal was es kostet. Der Philosoph Michel Foucault hat das Wahrsprechen und seine Gefahren unter dem Begriff der „Parrhesia“ untersucht. Wer die Wahrheit spricht, riskiert immer auch, dafür bestraft zu werden. Artur Lanz verteidigt einen Freund, der eine zweifelhafte ins rechtspopulistische tendierende Aussage getätigt hat vor ihrem gemeinsamen Arbeitgeber. Daran tut sich ein Dilemma auf. Finde ich es gut, dass er zu seinem Freund hält, obwohl es gesellschaftliche Ausgrenzung nach sich ziehen wird. Oder verurteile ich ein Gemeinmachen mit herabwürdigendem Gedankengut. Und was ist dabei eigentlich wahr und was falsch? Maron löst diese Fragen nicht auf. Das ist der große Gewinn dieses Buches. Die Fragen muss man sich unweigerlich selbst stellen. Wo stehe ich in dieser Gesellschaft und wie will ich handeln. Welches Handeln, Denken und Sprechen erachte ich als wahr im Sinne von richtig, human, demokratisch und aufrichtig. Und wie weit bin ich überhaupt in der Lage, anderen ihre Meinung zuzugestehen.

Abgründe der Nachwelt

In diesen Abgründen bleibt man nach der Lektüre von „Artur Lanz“ zurück. Mit sich selbst allein. Mir hilft es ein wenig, an Gespräche über Goethes „Torquato Tasso“ zurückzudenken, die wir vor ein paar Jahren in einem Seminar führten. „So klammert sich der Schiffer endlich noch / Am Felsen fest, an dem er scheitern sollte“, heißt es da in den letzten Versen dieses Dramas, das nach dem rechten Maß an Aufrichtigkeit und Schonung zwischen Freunden fragt. Einzig bleibt mir, dem Wunsch Ausdruck zu verleihen, dass wir – auf welchem Weg auch immer – noch viel von Monika Maron werden lesen können. Wir brauchen die Abgründe, die sie in dieser Nachwelt aufmacht.

Monika Maron: Artur Lanz. Erschienen 2020 bei S. Fischer in Frankfurt am Main. 220 Seiten. 24 €.*

 

*Unbezahlte Werbung. Den Roman habe ich selbst gekauft und bezahlt.

 

 

 

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