Liebe Leute, ich hoffe, dass es euch allen gutgeht. Corona stellt für uns alle eine enorme Herausforderung und auch Belastung dar. Aber auch das zurückgezogene Leben daheim muss nicht schlecht sein. In der Literaturgeschichte gibt es herausragende Beispiele dafür, wie Menschen in der Krise zusammenfinden. Die Gattung der Novelle ist dadurch entstanden und gekennzeichnet, dass Menschen in Krisenzeiten zusammenkommen, um sich mit dem Erzählen von Geschichten gegenseitig zu helfen. In Anlehnung daran finde ich es eine gute Idee, wenn wir uns davon erzählen, was wir gerade lesen. Im Moment lese ich wieder sehr viel wissenschaftliche Literatur, v.a. zur kulturwissenschaftlichen Raumtheorie. Aus diesem Bereich möchte ich euch ein sehr atmosphärisches Beispiel liefern. Neben aller Theorie darf aber auch der Humor nicht zu kurz kommen. Seid auf eine echte Perle der Unterhaltung im zweiten Teil gespannt.
Orte einer verschwundenen Zeit
„Ost-Berlin. 30 Erkundungen“ ist ein Titel, auf den ich bei jüngeren Recherchen zum Thema DDR als Raum gestoßen bin. Der Sammelband erschien 2019 und vereint essayistische Porträts von Straßen, Plätzen, Kiezen und Gebäuden, die den Ostteil Berlins prägen und prägten. Herausgeber Jörg Danyel ist damit ein echtes Panorama einer „untergegangenen Stadt“ gelungen. Da die Autor*innen Räume und Orte beschreiben, die ihnen und ihrem Leben viel bedeuten, entsteht ein Bild Berlins, das tief bewegt und die Haare auf den Armen aufstellt. Besonders faszinieren mich die Beschreibungen des Alltags in der geteilten Stadt und wie sich die Mauer in die Stadt einschrieb. Neben der Grenze sind es für mich als ständig nach den Räumen und deren Möglichkeiten in der Literatur Suchendem natürlich besonders die verborgenen Orte der Macht und der Opposition, die mich magisch anziehen. „Die Mauer beherrschte unser Denken und das Land dahinter unsere Phantasie“, ist einer der Sätze, die im Gedächtnis bleiben; er stammt von Annette Schuhmann. Macht euch auf zu Streifzügen durch die Kneipen Prenzlauer Bergs, die Orte der Opposition und ihrer Feinde und all die anderen wunderbaren Ecken dieser Stadt, die es so heute nicht mehr gibt.
Ost-Berlin. 30 Erkundungen. Hg. v. Jürgen Danyel. Erschienen 2019 im Ch. Links Verlag in Berlin. 448 Seiten. 25 €.
Echte Typen einer verlorenen Zeit
Auch wenn die Leseliste der Dissertation nie aufhört zu wachsen, versuche ich immer auch etwas unterhaltsames oder weniger theoretisches zu lesen. Dabei habe ich das Gefühl, etwas nur für mich zu tun. Ein wunderbares Beispiel hierfür ist „Raucher und Raubeine. 55 Kultkicker der 90er-Jahre“, das mir meine Freundin zum Geburtstag geschenkt hat. Der Titel sagt eigentlich schon alles. Welcher Fußball-Fan erinnert sich nicht gerne an die Zeit der bunten zwei Nummern zu großen Trikots und Nasenpflaster auf Pferdelungen. Dieses amüsante Buch setzt all jenen ein Denkmal, um die wir heute so häufig flehentlich weinen: Den echten Typen auf dem Platz. Flemming Povlsen, Ansgar Brinkmann und Uli Borowka sind nur einige von ihnen. Warm ums Herz wurde mir schon bei den einleitenden hymnischen Sätzen der Legende, die die Stimme dieser verlorenen Zeit ist: Fritz von Thurn und Taxis. Donnerwetter! Schmunzeln muss man mit jeder Zeile dieses Meisterwerks aus dem Fums-Universum, das alle Pokale, Meisterschalen und Fan-Hymnen dieser Welt verdient. In der fußballlosen Zeit ein echter Lichtschweif am Horizont. Danke dafür!
Raucher und Raubeine. 55 Kultkicker der 90er-Jahre. Verfasst von Lars Kranenkamp, Thomas Poppe und Cord Sauer. Erschienen 2019 im riva Verlag in München. 176 Seiten. 14,99 €.
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