Der Tag beginnt mit der Nacht. Und ich beneide Gregor Samsa, dass er des Morgens aus unruhigen Träumen erwachte. Sich verwandelt findend. Es genoss, auf dem Panzer zu liegen und Gretes Musik zu lauschen. Wenn ich aus unruhigen Träumen erwache, finde ich mich im Schweiße meiner Dämonen wieder. Igi wachend neben mir auf seinem Stuhle aufpassend. Ich bin da, flüstert er. Der Blick wandert weiter zum Nachttisch. Da ich die Rollos nie schließe, sehe ich ihn mich mit leidvoll gütigem Gesicht auf mich blickend. Zwei Finger erhoben. Die Großmutter, von der ich das Bild des Messias behalten habe, fehlt mir. Deine Reibepuffer und Karamellkuchen würden mir jetzt gut tun. Dein Lächeln, wenn du siehst, wie ich es genieße, mit dir am Tisch zu sitzen. Und ich wälze mich weiter. Vergessen habe ich, im Evangelium welches Jüngers er den Vater im Himmel gefragt hat, warum hast du mich verlassen. Den Vater im Himmel frage ich, warum hast du mich noch nicht verlassen. Verstehen könnte ich es. Wer will an solch einem Dystopos sein; an der Seite eines von Träumen Nassgeschwitzten.
Wie der Gang der Dinge sich nun durch die Nacht ziehen wird, ist mir klar. Und doch widersetze ich mich. Drehe mich dann doch lieber nochmal um. Jetzt noch die zwei kleinen blauen Pillen einzuwerfen, ist sinnlos. Es ist 4.30 Uhr. Da schlafe ich dann von 6.30 Uhr bis 12 Hundert. Und komme danach nicht in den Tritt. Immerhin: welcher Mann nimmt schon kleine blaue Pillen, um zu schlafen. Es ist vollkommen klar. Ein vorgezeichneter Weg durch diese Nacht. Wie so viele davor. Den Ablauf variiere ich nur in Ausnahmefällen. In Zimmer 008 konnte ich nicht raus. In die Nacht. Also zog ich mich unter die Dusche zurück, ohne, dass es dem Nachbarn den Schlaf störte. Auf dem Boden sitzend, die Beine angewinkelt, darauf die Ellbogen gestützt, die Hände beschützend vor den Augen. Danach frische Wäsche. Die Kopfhörer ins Ohr; Schubert. Die Ruhe kehrt zurück. Um halb acht warten das Frühstück und wunderbare Menschen auf mich. So schlafe ich im zweiten Satz doch noch ein. Wissend, ein Gespräch ohne Worte am Tisch ganz hinten im Eck zu finden.
Aber hier ist der Ablauf klar. Gegen den ich mich erwehre. Nach dem Wälzen kommt das Wasser. Erst kippe ich einen Liter in mich rein. Dann lasse ich nach zähem Ringen, nicht aufzustehen, Literweise davon laufen. Auf den Fließen des Badezimmers habe ich im Muster schon als Kind Che Guevara erahnt. Hasta la Victoria siempre, Comandante! Der Weg von hier aus ist vorbestimmt. Zurück ins Zimmer. Ne Kippe stopfen. Treppe runter. Auf leisen Sohlen. Ohne den Lichtschalter umzulegen. Ins Wohnzimmer. Die Jacke vom Schaukelstuhl nehmen. Durch die Tür. Luft. Tief sauge ich sie ein. Am Firmament nach Sternen suchend. Die Nacht kühlt den Schweiß. Sie wird aufflackernd erhellt vom Feuerzeug. Tief an der Kippe ziehen. Obwohl ich mit den Kippen Schluss machen will, kann ich nicht. Wie mir diese Nächte zeigen. Die Lunge wird weit am ersten Zug des Tages. Und Entspannung krabbelt in die Glieder. Blicke ich auf die Skyline der Mutterstadt. Diese jahrhundertealte Ansicht. Von Bruchstein und den Gezeiten trotzendem Kitt. Gucke ich dann doch lieber zu den Sternen hinter den Wolken. Bevor mich das orangene Neonlicht der denkmalgeschützten Scheinwerfer noch blendet. Fühle ich die Katze, die altgekannte und doch namenlose Freundin, um meine Beine streifen.
Es stimmt nicht, dass nachts alle Katzen grau seien. Genau erkenne ich dein weiß schwarz gemustertes Fell. Und du beginnst zu schnurren. Bist du auch froh, in dieser Nacht etwas Lebendiges zu treffen? Deine Wärme tut gut an meinem Bein. Warst du schon erfolgreich auf der Jagd, oder streifst du nur so umher? Du lässt dich also treiben. „Wo ist dein Kamerad; Fronturlaub?“, fragst du mich. Schau mal zum Apfelbaum, da hockt er und schläft friedlich. „Wieso schläft er, statt Feuerschutz zu geben? Wieso trägt er keine Uniform?“, wunderst du dich. Nun wir haben aufgehört, zu kämpfen. „Aber in der Nacht zieht ihr noch immer durch die Gräben, bis ihr hier durchatmet“. Der kühle Schweiß auf dem Bein, das du umstreifst, hat mich enttarnt. Dir gehört die Nacht. Wenn nicht gar die Welt. Überall kannst du hin. Solange es kein Wasser ist. Zieh weiter, meine Freundin. Wirf einen kühlen Blick auf das Leben und den Tod. Und sie entflieht hinter dem Apfelbaum.
Die Kippe nähert sich den letzten Zügen. Es wird immer mehr Tag und weniger Nacht. Ich stehe unter Strom. Achtsam rauchen, könnte mich beruhigen. Was sehe, höre, schmecke ich? Wie stehe ich auf dem Boden? Anspannung und Entspannung. Auch den Kiefer entspannen. Vor und zurück. Dann drücke ich die Kippe aus. Auf den Weg zurück ins Bett. Was nun kommt, ist wiederum klar. Ich sitze auf der Bettkante und greife nach der Wasserflasche. Die Gespräche mit dem Vater im Himmel werden nun folgen. In langen Sätzen bedanke ich mich. Und hole Erkundungen ein. Der, der ans Kreuz gestiegen ist, blickt vom Nachttisch zu mir herüber. Als Krieger bist du in das Haus am Ende der Straße gekommen. Es war ein langer Weg. Und wanderte ich durch das finstere Tal von Elah, fühlte ich mich nie des Aufgebens gewillt oder nahe. Nach Golgatha niemals gewillt, freiwillig zu steigen. Goliath’sche Schrecken rückten in großer Schar mir nah aus mir selbst heraus. Aug in Aug gewahrte ich, auf dieser Wallstatt keine Steinschleuder zu brauchen.
Und merke, tatsächlich nochmal geschlafen zu haben, als ich um halb acht aufstehe. Wie schade, dass mich jetzt kein Frühstück erwartet, am Tisch ganz hinten im Eck.