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Tour de Literatur

Kopfsteinpflaster, steile Rampen, trommelnder Regen und pfeifender Wind sind etwas Wunderbares? Wenn man Frühjahrsklassiker im Radsport liebt schon. Die Profis haben sich mittlerweile einiges an Wettkampfhärte in Rennen wie Paris-Nizza geholt und nehmen am kommenden Samstag eines der fünf Monumente des Radsports in Angriff: Mailand-Sanremo. Unter uns Jederfrauen und -männern sind bestimmt auch einige, die schon ein ganz passables Bein haben. Da sollten wir ruhig mal eine Pause einlegen und ein gutes Buch lesen, wenn wir nicht gerade den professionellen Pedaleuren zusehen. Hier eine kleine Auswahl meiner liebsten Radsportbücher.

Die knappste Entscheidung aller Zeiten

Es gibt große Champions, die immer als große Verlierer in Erinnerung bleiben. Der wohl größte unter ihnen ist Laurent Fignon. Der viel zu früh verstorbene Franzose gehört zu den Fahrern, die die Pelotons der 80er dominierten. Zwei Mal gewann er die Tour de France und ein Mal den Giro d’Italia. Nennt man den Namen Fignon, bekommt man aber immer nur eins zu hören „8 Sekunden“. Um nicht mehr und nicht weniger verlor er die Tour 1989 gegen Greg LeMond. Die knappste Entscheidung der Tour aller Zeiten. In seiner Autobiographie „Wir waren jung und unbekümmert“ erzählt Fignon davon und viele andere Geschichten aus einer Zeit, in welcher der Radsport weit entfernt vom Optimierungswahn heutiger Tage war, auf lakonische und pointierte Art. So rechnet er auch mit seinen Landsleuten schonungslos ab, die ihn eher stiefmütterlich behandelten. Egal. In Italien sei er noch immer ein Champion. Die Italiener vergäßen ihre Helden eben nie. Zu seiner Geschichte gehört auch, dass er Rennen mit Hilfe von Doping gewann. Für die ehrliche Schilderung dieses dunklen Flecks im Palmares gebührt ihm Respekt.

Ein Mann auf der Flucht

Wie viel mir Marco Pantani bedeutet, wissen alle, die mich kennen und/oder „Für den Pirat“ gelesen haben. Für sein unnachgiebiges Attackieren am Berg war er bekannt und gefürchtet. „Der Pirat. Das schnelle Leben des Marco Pantani“ erzählt die Geschichte eines Himmelstürmers, der von den Gipfeln der Berge ins Bodenlose fiel. Manuela Ronchi und Gianfranco Josti ergründen die Ikone aus Cesenatico behutsam, ja beinahe zärtlich. Einzig schade an dieser persönlichen Darstellung ist, dass sie teilweise die kritische Distanz verliert. Wenn sie aus Gerichtssälen, in denen Doping-Prozesse geführt wurden, berichtet. Dann kommt es einem Kampf um die eigene Sicht der Wahrheit nahe, den Pantani selbst führte. Erschütternd aber nicht kitschig hingegen, wenn sie das Hotelzimmer in Rimini beschreibt, in dem Marco diese Welt verließ. „Un Uomo in Fuga“ lautet der Originaltitel. Ein Mann auf der Flucht. Marco Pantani scheint kaum besser zu beschreiben.

Betrug mit System 

2012 erschütterte ein Buch die Radsportwelt mit etwas, das im Grunde alle wussten aber niemand beweisen konnte: Lance Armstrong hat alle sieben Tour-Siege gedopt nach Texas geholt. „Die Radsport-Mafia und ihre schmutzigen Geschäfte“ ist Tyler Hamiltons Beitrag, diesen Sumpf trockenzulegen. Hamilton war selbst dabei als Teamkollege im „Blauen Zug“, wie sich die Mannschaft um Armstrong gerne nannte. Er war einer der Fahrer, die ich für ihre Härte bewunderte (und anbetete). Er brach sich das Schulterblatt und fuhr den Giro trotzdem zuende – als Zweiter! Anschließend mussten alle Zähne überkront werden, weil er vor Schmerz so fest zubiss. Was mich an Hamiltons Buch am meisten fasziniert ist, wie er beschreibt, was diese Leidensfähigkeit erst ermöglichte: Depressionen. Hamilton fühlte sich schon als Kind nur frei, wenn er auf dem Rad alles gab, was er hatte. Im Stillstehen lauern die dunklen Schatten. Mich fasziniert daran, dass er so ehrlich über seine Erkrankung spricht, ohne pathetisch zu werden. Das ist ein wichtiger Beitrag zur Entstigmatisierung psychischer Erkrankungen. Davon abgesehen bietet das Buch Radsportbegeisterten alles, was das Herz begehrt. Die tiefen Einblicke in das Leben auf dem Rad. Im Glanz der großen Touren, der schweißnassen Schmerzhöhle des Trainings auf der Landstraße und dem fahlen Licht des größten Betrugs der Sportgeschichte. Ein Mann erzählt alles. Steht nach Jahren des Schweigens zu seinen Fehlern und Straftaten. Ohne Bitternis, falsches Pathos oder im Versuch, sich reinzuwaschen indem er andere bezichtigt. Einfach nur ehrlich.

 

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