All die Schrecken, Einschränkungen und Schicksalsschläge der Coronakrise aufzuzählen ist unmöglich und auch nicht mein Anliegen. Was aber auch sehr besorgniserregend ist, sind die Gräben mitten durch Europa, die immer tiefer werden. Eine geopolitisch und soziologisch fundierte Krisenerörterung kann ich nicht liefern. Aber eine Feier all dessen, das uns verbindet. Besonders am Herzen liegt mir Italien, weil es mir seit der Kindheit viel geschenkt hat. Die leidenschaftlichen Antritte des Piraten, beinharten Catenaccio und eine Geschichte aus der Welt des Sports, die ich noch nicht erzählt habe. Eine Geschichte, die Deutschland und Italien wie einen Herzschlag verbindet. Ferrari und Schumi.
Leidenschaft mit 300 Sachen in der Stunde
Die 90er Jahre waren auch das Jahrzehnt der Formel 1 in Deutschland. Ein junger Mann aus Kerpen eroberte die Königsklasse des Motorsports und sollte ihr erfolgreichster Champion werden. Um eine echte Legende zu sein, bedarf es aber auch eines mythischen Autos. So fand zusammen, was zusammen gehört. Michael Schumacher wurde Pilot bei der Scuderia Ferrari. Die roten Autos aus Maranello stehen wie keine anderen für den Mythos Formel 1. Mit Schumi sollten Rennen und Pokale für die Ewigkeit folgen. Als Kind hat mich diese Waghalsigkeit fasziniert. Mit 300 Km/h auf eine Kurve zu brettern und sie spielerisch nehmen. Überholen aus dem Windschatten. Vor Rennbeginn habe ich Regen herbeigesehnt. Dann ist niemand schneller als er. Die Ampel leuchtet auf und der Puls steigt. Das rote Auto fliegt über den Kurs. Schumi und Barrichello. Runde um Runde. Am Ende reckt er die Faust aus dem Cockpit in die Höhe. Den Boxenfunk kann man noch nicht im Fernsehen hören.
Campione per sempre
Es gibt zu viele Erinnerungen an die Formel 1 meiner Kindheit, um sie alle aufzuzählen. Was mir aber immer im Herzen bleiben wird, sind die Rennen in Melbourne. Zum Saisonauftakt habe ich bei meinem Onkel übernachtet, der mich dann mitten in der Nacht weckte, um das Rennen anzuschauen. Er für Mercedes, ich für Ferrari.
Schumi sprang immer in einem Satz auf das Siegerpodest. Natürlich war es ein absolutes Highlight, vor der Champagnerdusche die Nationalhymne zu hören. Wieso aber spielen die auch die italienische, wollte ich wissen. „Eine für den Fahrer, eine für das Auto“, war die Antwort meines Onkels. Na klar. Welches Auto sollte man auch mit einer Hymne besingen, wenn nicht die rote Göttin. Wie ich es liebte, wenn Schumi zu Il Canto degli Italiani dirigierte und sein Teamchef Jean Todt den Tränen nahe war. Dieser Mann, der vor Aufregung immer seine Fingerkuppen abklebte, weil er sie sonst abkaute.
Den Tränen nahe war ich tatsächlich als Schumi sein (vorerst) letztes Rennen in Interlagos fuhr. Diese denkwürdige Stunde wurde auf VHS aufgezeichnet. Wie sehr hätte ich mir das Podium noch einmal gewünscht. Er war nicht mehr Weltmeister und ich kein Kind mehr. Egal. Was ich an den Italienern bewundere ist, dass sie einen Menschen nie vergessen, wenn er nicht mehr erfolgreich ist. Michael Schumacher wird ebenso ihr Campione bleiben, wie er immer meiner sein wird. Seine absolute Obsession, immer schneller sein zu wollen und alles dafür zu geben, inspiriert. So cool er im Auto war, so menschlich abseits der Rennstrecke. Und ohne dieses Auto, das mythische Team und die heißblütigen Tifosi, wäre all das nicht entstanden. Keep on racing, Schumi. Werde wieder gesund, Michael. Grazie di tutto.