Vermutlich beschreibe ich nichts neues, wenn ich von einem kleinen Teil aus dem großen Ganzen berichte, was uns allen durch Corona fehlt. Ebenso wenig ist es leicht, einen festen Standpunkt besonders in diesem Thema zu vertreten, ohne sich in Widersprüche zu verstricken. Probieren will ich es dennoch. Es drängt sich mir angesichts des Deutschen Classico einfach auf, endlich mal wieder über König Fußball zu schreiben.
Die Ausgangslage
Vor der Partie Dortmund gegen Bayern wird tagelang akribisch über den Zustand beider Teams und ihres Umfelds berichtet. Wird Jadon Sancho rechtzeitig fit? Thomas Müllers Comeback in die Nationalelf rückt näher. Alles Makulatur. In Corona-Zeiten sowieso. Vielmehr fragt man sich selbst als eigentlich unerschütterlicher Fan, warum man so viel Geld für Pay-TV ausgibt, wenn dort verblendete Ansichten von Aki Watzke und Kalle Rummenigge in die Welt getragen werden. Ich war der erste, der nach Wiederaufnahme des Spielbetriebs den Vorzug der Fußballer vor allen anderen gerechtfertigt hat. Da wird keinem was weggenommen und die Bundesliga bringt ein Stück Normalität zurück. Kann ich nach fast einem Jahr Geisterspiele so nicht mehr sehen. Wie ist es zu rechtfertigen, dass Europokalpartien in Ländern ausgetragen werden, aus denen keine der beteiligten Mannschaften stammt während wir alle dazu aufgefordert sind, nicht zu reisen. Dem wäre so vieles mehr hinzuzufügen. Aber das lasse ich lieber. Worum es mir eigentlich geht ist das, was mir wirklich fehlt. Und was eine Ode an das Ballspiel und meinen Verein trotz allem nötig macht.
„Und wenn du das Spiel verlierst“
Wenn ich mit meinen Freunden spreche wird mir immer eins besonders bewusst: Wir als Fans fehlen im Stadion. Und das nicht, weil es unser jetzt wegfallendes Freizeitvergnügen ist, sondern weil wir damit einen Teil unserer Identität und der unserer Vereine leben. Borussia Dortmund macht diese Saison eine sportliche Achterbahnfahrt durch. Niederlagen, mangelnde Mentalität auf dem Platz und Trainerwechsel. Der Europapokal in Gefahr. Was uns jetzt schmerzlich fehlt, ist die Möglichkeit nicht nur sprichwörtlich zusammenrücken zu können. Gerade jetzt müssten wir auf jedem Bolzplatz zwischen Glasgow und Athen hinter unserem Team stehen können. Und besonders in unserem Westfalenstadion von unserer Herzkammer Südtribüne aus diese ganz spezielle Atmosphäre lebendig werden lassen. Die Mannschaft mit allem nach vorne peitschen, was wir haben und sind. Singen so laut wir können, Fahnen schwenken und aus ganzem Herzen mitleiden. Wenn die Jungs uns brauchen, stehen wir 80.000 wie ein Mann / eine Frau hinter ihnen. Wir kämpfen alle zusammen um jeden scheiß Punkt, um aus dem Mittelmaß rauszukommen. Dieses magische Gefühl der Verbundenheit und gemeinsam etwas bewegen zu können. Diese in jeder Körperfaser herrschende elektrische Spannung. Wenn kollektiv der Atem stockt und dann der Ball im Tor landet. Diese Ekstase. Sich alles entlädt und das Stadion überkocht. Oder der Ball in unserem Netz liegt und wir singen: „Und wenn du das Spiel verlierst / ganz unten stehst / dann stehn wir hier und singen: Borussia, Borussia BVB! / Was auch immer geschieht / Wir stehen dir bei!“.
Willkommen an den Mattscheiben?
All das ein Grund, kein Spiel mehr im TV anzusehen? Nicht für mich. Auch morgen Abend werde ich auf dem Sofa sitzen, ein eiskaltes Pils trinken und mit meiner Mannschaft fiebern. Sosehr Profifußball Kommerz geworden ist und insbesondere der BVB die Leidenschaft seiner Fans ausschlachtet und vermarktet („Echte Liebe“ traue ich mich nicht mehr zu sagen, seit es auf jedem Merch-Artikel prangt), so wenig kann ich ihm doch fern bleiben. Und wenn es nur das Spiel im Fernsehen ist, das an Teilnahme möglich ist; wohlwissend, dass ich damit Teil des Problems bin, das ich kritisiere und eine Industrie unterstütze, die ich ihrem Wesen nach ablehne.
Das Gemeinschaftsgefühl ist immer geblieben. In meinem Freundeskreis ist der Fußball immer Thema und manchmal bringt er uns ins Gespräch oder den Videochat, wenn wir unter den alltäglichen Pflichten eigentlich nicht daran denken würden, mal eben miteinander zu sprechen. Egal was passiert, meine Leidenschaft für Fußball wird nie vergehen. Und dieser häufig zu Recht gescholtene (Profi-)Fußball übernimmt eine soziale Funktion die unsere Gesellschaft jetzt und nach der Pandemie dringend braucht. Einer meiner Pläne ist, Auswärtsspiele der Amateure des BVB zu besuchen. Tivoli Aachen, Stadion an der Hafenstraße Essen und das Stadion Niederrhein Oberhausen sind doch unterstützens- und erlebenswerte Stadien voll von dem, was Fußball ausmacht. Er bringt uns zusammen, egal wer wir sind und woher wir kommen. Und er lässt uns einen Teil zu Geschichte(n) beitragen, die es sonst nur in der Fiktion gibt. Wenn Totgesagte wieder auferstehen. Underdogs in den Olymp aufsteigen. Oder ein einzelner Moment in den Herzen vieler für immer bleibt.