In „Attacke und Müßiggang“ habe ich davon erzählt, wie anders ich dieses Jahr die Tour de France erlebe. Dies bewahrheitet sich auch zwei Etappen vor Ankunft in Paris auf ganz andere Art und Weise. Die Tour ist so spannend wie selten in den letzten Jahren. Auch wenn vor den letzten beiden schweren Alpen-Etappen noch alles möglich ist, möchte ich schon jetzt ein Loblied auf die diesjährige Große Schleife singen.
Und täglich grüßt ein anderer
Vorbei sind die Zeiten der Dominanz einer einzigen großen Equipe. In den letzten Jahren diktierte das Team Sky (jetzt Ineos) um Abo-Sieger Chris Froome und Vorjahreschampion Geraint Thomas das Geschehen. Sie erstickten jede Attacke ihrer Kontrahenten im Keim. An der Spitze des Feldes ein blauer Zug, der selbst am Berg noch fleißig dampfte. Und nun? Beinahe jede Etappe gewinnt ein anderer Fahrer. Einzelne Teams holen zwar mehrere Etappensiege. Diktieren aber nicht das Geschehen. Und der Mann in Gelb? Julian Alaphilippe wird seit Beginn an aus dem Leadertrikot gequatscht. Und straft alle Lügen. Ohne Helfer behauptet er sich am Berg und das Maillot Jaune. Wie ich finde äußerst sympathisch, da er seinen Schmerz unverhohlen zeigt.
Der Ruhepol im Spektakel
Unumwunden gebe ich zu, dass mich bei dieser Tour auch patriotische Gefühle überkommen, wenn ich Emanuel Buchmann am Berg sehe. Die Sehnsucht, einen Gesamtklassementsfahrer aus Deutschland so stark zu sehen, erfüllt er. Und seine ruhige Art gefällt mir. Er macht eben sein Ding. Auf seine Art. Hut ab! Hoffentlich macht er so weiter. Ohne den Druck, den die Franzosen erleiden müssen, die Tour endlich wieder zu gewinnen.
Ambivalente Gefühle
Diesen Fahrern gilt mein ganzer Respekt und auch das Vertrauen, dass sie ehrliche Sportsmänner sind. Die Angst vor unlauterem Wettbewerb müssen sie uns gebrannten Kindern aber auch zugestehen. Zu oft haben wir Heldentaten gesehen, die unter Tränen als Betrug entlarvt wurden. Ich glaube an einen sauberen Radsport. An die ehrlichen Pedaleure, die aus einer Mischung aus Leidenschaft, Talent, Mut und Gebenedeiung der Schöpfung diesen wunderbaren Sport zu dem machen, den wir lieben. Ein Radrennen wie die Tour de France zeigt das ganze Leben. Seine Gipfel wie seine Abgründe. Mögen die Gipfelstürme(r) siegen. Vive le Tour!